Leseprobe_Tittel_Anatomie_lowres - page 21

10.6 Die muskuläre Verspannung der Wirbelsäule
181
10
K
linik
 Wird dasWechselspiel zwischen den Beugern und Streckern
der Wirbelsäule durch körperliche Inaktivität oder durch eine einseitige
Kraftentwicklung von Muskelgruppen bei gleichzeitiger Vernachlässi-
gung ihrer Entspannungs- und Dehnungsfähigkeit imTrainingsprozess
gestört, dann führt dies unweigerlich zu einem funktionellen Missver-
hältnis
zwischen Agonisten und Antagonisten, zu einer „muskulären
Dysbalance“ und später infolge veränderter Muskel-Gelenk-Beziehun-
gen zu „arthromuskulären Dysbalancen“. Ihr bereits im Jugendalter zu
beobachtendes Auftreten wird oft durch die Unkenntnis unterstützt,
dass „tonische“ Muskeln mit ihrer überwiegenden Haltefunktion zur
Verkürzung ihrer normalen Länge und „phasische“ Muskeln mit ihrer
vorzugsweise dynamischen Bewegungsfunktion zur Abschwächung
ihrer Kraft neigen (
Kap. 13.3).
Dies soll am Beispiel der Wirbelsäule deutlich gemacht werden:
- Während die stabile Beckenneigung in erster Linie durch kräftige
Bänder, die ein Nach-hinten-Kippen des Beckens über 15–18°
und ein Ausweichen des Kreuzbeins nach hinten verhindern 
(
Kap. 11.1.5), gewährleistet ist,
- wird die Becken- und Lendenwirbelsäulenstellung in einem labilen
Gleichgewicht durch die Kraft- und Dehnungsfähigkeit der Wirbel-
säulen-, Bauch- und Hüftgelenksmuskulatur aufrecht erhalten.
Die zur Verkürzung
neigenden
M. iliopsoas, M. rectus femoris
und
M. erector spinae
lösen bei gleichzeitiger Abschwächung der Kraft
ihrer Gegenspieler
M. gluteus maximus
und
M. rectus abdominis
eine Kippung des Beckens nach vorn
(„Anteversion“)
und eine daraus
resultierende belastungsmechanisch ungünstige Hyperlordosierung
der Lendenwirbelsäule aus (Abb. 10.38).
Berücksichtigt man, dass der Rumpf mit seinem Muskelkraftpo-
tential als wesentliches Vorbereitungs-, Beschleunigungs- und
Übertragungselement innerhalb einer Gesamtkörper-Gliederkette
fungiert, dann wird der negative Einfluss einer muskulären Dysbalan-
ce auf die Leistungsfähigkeit des Rumpfes und der Lenden-Becken-
Hüftregion sichtbar. Er führt zu einer veränderten Gelenkmechanik und
über eine zunehmende Einschränkung des Bewegungsausmaßes zu
einembeschleunigten Verschleiß der Zwischenwirbelscheiben und zu
degenerativen Veränderungen an den Wirbelgelenken und damit zu
einer segmentalen Instabilität der Wirbelsäule (Freiwald 1996; Tittel
1986, 1994).
Abb. 10.38 
Der Einfluss muskulärer Dysbalancen auf die
Lendenwirbelsäulen-Becken-Region (links) und Korrektur nach
einem Kraft- und Dehnungsprogramm.
1...,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20 22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,...78
Powered by FlippingBook